Natursubstanzen und süße Medizin

Als Morgentrunk eine frisch ausgepresste Grapefruit, dazu etwas warmes Wasser und zwei Teelöffel Honig. Das mundet nicht nur bestens, sondern beruhigt auch die Leber – und ist eines der Rezepte von Prof. Matthias Kunth, Oder: Zwei Esslöffel Oxymel mit einem Glas warmen Wasser oder Tee vor dem Frühstück stärken das Immunsystem.

Das sind nur zwei unkomplizierte Anwendungen aus dem Bereich der Apitherapie, die tatsächlich recht einfach zubereitet werden können. Bei der 10. Österreichischen Apithrapietagung, die mit dem Workshoptag und dem großen Haupttag am 26./27. Jänner 2019 in Zell an der Pram (OÖ) abgehalten wurde, konnten viele derartige heilenden und vorbeugenden Anwendungen der Produkte unserer Honigbienen genauer erörtert werden.

Doch der Reihe nach: Als IM Anton Reitinger, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Apitherapie (ÖGA), die Awesenden im Festsaal des ehemaligen Jagdschlosses Zell an der Pram begrüßte, war auch er vom überaus starken Andrang der Gäste – fast 300 waren es -  überwältigt. Offenbar haben die insgesamt sieben Referatsthemen die Imker und Imkerinnen auf besondere Weise angesprochen. Aber auch generell stößt die Apitherapie auf zunehmendes Interesse, und die ÖGA bietet die geeignete Plattform dazu.

Prof. Matthias Kunth: „Süße Medizin – die Gesundheitswirkung von Honig, Propolis & Co“

Im ersten Referat des Tages lege Matthias Kunth, der eine Praxis in Pfaffenhofen in Oberbayern leitet, den Schwerpunkt auf die Naturheilverfahren der traditionellen chinesischen Medizin. Er selbst wurde nach seinem Studium der Humanmedizin an der Universität München immer wieder an die Fudan Universität Shanghai eingeladen, wo er als Gastprofessor über Apitherapie-Themen referierte. Am Beginn kommt Mattias Knuth auf die Freien Radikale zu sprechen, die Krankheiten begünstigen und den Alterungsprozess beschleunigen. Diese aggressiven Sauerstoffmoleküle oder Sauerstoff enthaltenen organischen Verbindungen beschleunigen unter anderem Entzündungen, Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs. Antioxidantien senken die Aktivität der Freien Radikale. Hier setzt Kunth den Einsatz von Honig an, vor allem Waldhonig und Manukahonig verfügen über einen hohen Gehalt an Antioxidantien. Dann richtet der Referent den Blick auf Propolis, das besonders reich an Flavonoiden (Pflanzenstoffe mit besonderen antioxidativen Eigenschaften) ist. Deswegen bewirkt Propolis eine Wachstumshemmung von Bakterien und Viren und begünstigt die Fließeigenschaft des Blutes. Auch viele anderen Erkrankungen kann man mit Honig, Blütenpollen und Gelèe Royal, das in China eine besonders große Tradition hat, begegnen. Im Besonderen schützen apitherapeutische Produkte die Leber, sie reinigen und entgiften sie. Neben Pollen eben auch einfach im Wasser verrührter Honig, der täglich eingenommen werden sollte.

Gabriela Nedoma: Oxymel: „Medizin aus Honig und Essig“

Oxymel wird seit Jahrtausenden von Menschen für therapeutische Zwecke verwendet. Gabriela Nedoma, wohnhaft in Wolkersdorf nördlich von Wien, ist eine Botschafterin, die sich für die Wiederentdeckung bzw. Wiederverwendung dieser Zusammensetzung aus Honig und Essig verschrieben hat. Dabei ist Nedoma im Zuge von Germanistikstudien auf Oxymel (oxy/sauer, meli/Honig) gestoßen. Beim Studium von mittelalterlichen Handschriften stieß sie immer wieder auf Rezepte des Honig-Essig-Getränks und dessen heilender Wirkung (darunter auch eine Anleitung von Hildegard von Bingen). Ein Löffel Honig und ein Löffel Essig lautete beispielsweise die Zusammensetzung des Apitherapeutikums.

Bei ihrem Referat bei der ÖGA-Tagung und schon am Vortag im Workshop verriet Nedoma zahlreiche, auch international unterschiedliche Mischungen. Sie selbst gibt dem Honig den Vorzug, auf einen Teil Essig kommen meist drei oder vier Teile Honig. Vor allem durch den Zusatz von zerschnittenen, in einigen Fällen auch mit dem Mörser verkleinerten Pflanzenteilen ergibt sich eine besondere Geschmacksnote und zudem eine von der jeweiligen Pflanze abgeleitete Heilwirkung. Schon aus der Antike ist die Beimischung von offenen Knospen der Schwarzpappel überliefert, wobei Nedoma das Verhältnis von eins (Knospen) zu zehn (Oxymel) empfiehlt. 

Oxymel wirkt fiebersenkend und wurde vor der Entdeckung der Antibiotika als bewährtes Heilmittel verwendet. Und außerdem wirkt es – unter anderem - bei Hustenreiz, Entzündungen, Infektionen, Verdauungsschwierigkeiten. Jeder Honig habe seine spezielle Qualität, sagt die Referentin. Der Akazienhonig sei besonders geeignet für Diabetiker, der Buchweizenhonig wirkt antibakteriell und reizlindernd, der Waldhonig „kann so ziemlich alles“. Die Franzosen bevorzugen wiederum Weinessig, hierzulande ist der Apfelessig vorherrschend, wichtig sei jedenfalls naturbelassener biologoscher Essig.

Joachim Polik: „Die Honig – Entgiftungsmassage“

Bei der Honigmassage handle sich um ein altes russisches Volksheilmittel, sagt Joachim Polik. Die Anwendung sei eine Reiz- und Entgiftungstherapie, durch sie werden Muskelverspannungen gelöst, die Lymphe wird zum Fließen gebracht, sie bewirkt die Entspannung des Nervensystems, die Körperreinigung, Entgiftung und Belebung des ganzen Körpers. Weitere Indikationen sind Arthrose, chronische Müdigkeit, Magen- und Darmstörungen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Zellulitis. Joachim Polik leitete eine Praxis für Heilmassage in Dietersburg in Niederbayern.

Polik geht von den Hedschen Zonen aus. Das sind Hautbereiche am Rücken, die sich bestimmten inneren Organen zuordnen lassen. Daher wird die eigentliche Honigmassage ausschließlich am Rücken durchgeführt, wobei andere Behandlungsbereiche Arme und Beine, Knie- und Schultergelenke sowie den Bauch betreffen. Je nach Größe des Rückens wird ein halber bis ganzer Esslöffel Honig aufgetragen und mit abrollenden Händen einmassiert. Die Wirbelsäule soll dabei nicht berührt werden. Schließlich wird die dünne Honigschicht weiß, dann wird der Rücken abgewaschen. Für Patienten ist die Behandlung nicht immer angenehm.

Im zuvor abgehaltenen Workshop meldeten sich zwei Imkerinnen und ein Imker zur Behandlung, auch einige Anwesenden konnten sich in der Massage üben. Eine Behandlung dauert bei Polik 45 Minuten, anschließend sollten 15 Ruheminuten folgen. Eine der jungen Imkerinnen während der Massage: „Mir geht’s gut, grob war’s, ganz ehrlich.“

IM Gerhard Lindenthaler: „Propolis – die Natursubstanz“

Das Kittharz ist bei Apitherapieanwendungen stets ein Thema. Gerald Lindenthaler, stellvetretender ÖGA-Präsident, referierte über die Herstellung von alkoholfreien Propolistrockenextrakten. Im Propolis wurden bisher mehr als 400 Substanzen nachgewiesen, die Lindentaler in seinen Ausführungen in vier Stoffgruppen einteilte. Ziel ist die Weiterverarbeitung in Cremen, Pulver und alkoholfreien Anwendungsformen. Da die Herstellung dieser Trockenextrakte einen relativ hohen apparativen Aufwand erfordert, werden einzelne Imker meist überfordert sein. Die ÖGA prüft nun die Herstellung durch ein autorisiertes Labor und will diese Prozedur ihren Mitgliedern als Serviceleistung zur Verfügung stellen.

Dr. Johannes Puttinger: „Honig, Hormesis, Immunsystem – neue Interpretation der Ergebnisse einer Honigstudie im Lichte der Hormesisforschung“

Hormesis (Anstoß, Anregung) bedeutet, dass auch geringe Dosen schädlicher Substanzen eine positive Wirkung auf den Organismus haben können. In diesem Sinn zitiert der Arzt und Imker Johannes Puttinger (Praxis in Uttendorf, OÖ) eine Aussage, die Paracelsus bereits vor 500 Jahren getätigt hat. Naturstoffe wie Allicin, Curcumin, Resveratrol und die sekundären Pflanzenstoffe Flavonoide wirken in niedrigen Dosen gesundheitsfördernd, in höheren aber durchaus giftig. Flavonoide wirken im Körper als Signalstoffe zur Ankurbelung von Entgiftungsreaktionen in der Zelle und im Zellkern. „Die Wahrscheinlichkeit“, so Puttinger, „Naturstoffe in hormetisch wirkender Konzentration aufzunehmen, ist am höchsten, wenn man sie in natürlichen Nahrungsmittel – wie etwa Honig – zu sich nimmt.“ Honig, Blütenpollen und Propolis sind sicher wirkungsvoller und gesünder, als Nahrungsergänzungs-mittel in Form von Vitaminpillen oder Konzentraten in Form von sekundären Pflanzenstoffen.

Dr. Magdalena Schlieber: „Wundmanagement mit Honig“

Im Rahmen ihrer Diplomarbeit an der Medizin-Universität Graz hat Magdalena Schlieber (die Tochter von Johannes Puttinger) den Zusammengang zwischen lokalen Therapiemaßnahmen und dem Auftreten des Toxischen Schocksyndroms bei brandverletzten Kleinkindern untersucht. Bei verschiedenen Brandwunden hat sie die Wirkung von Med-Honig (sterilisierter Manukahonig aus Neuseeland), Waldhonig und Blütenhonig aus der Region untersucht. In der Folge zeigte Magdalena Schlieber in ihrem Kurzreferat Aufnahmen von schweren Brandwunden eines Kindes und eines 49-jährigen Arbeiters sowie deren Heilungsprozesse. Honig hat sich generell bewährt, beim Med-Honig verkürzt sich die Heilungszeit um einige Tage.

Dr. Andreas Dabsch: „Bienen und Menschen – Bienengifttherapie“

Andreas Dabsch ist Allgemeinmediziner sowie Experte für Ganzheitsmedizin und Ernährung nach TCM. Für die ÖGA ist er Sprecher der Ärztegesellschaft für Apitherapie, die 2015 im Dachverband der Komplementärmedizin aufgenommen wurde. Dabsch weist auf einen Anstieg der Autoimmun-erkrankungen hin. Durch das veränderte Gleichgewicht der natürlichen Umweltfaktoren kann es passieren, dass Immunzellen das Eigene nicht mehr erkennen und Teile des Körpers als fremd bewerten. Und dann lenkt der Vortragende den Blick zu den Bienen. „Das Immunsystem der Bienen sind vor allem Propolis und Bienengift.“ Dieser Heilmittel müssen sich auch die Menschen bedienen. Propolis vernichtet selektiv schädliche Bakterien und fördert gute.

Bienengift ist zudem eine Allergen-spezifische Immuntherapie. Als eines der Beispiele wählte Andreas Dabsch Multiple Sklerose (chronische Entzündung des Zentralnervensystems). An einem Tiermodell konnte der nervenschützende (neuroprotektive) Effekt durch Bienengift gezeigt werden. Bienengift ist ein starker Immunmodulator, der das Zentralnervensystem beeinflussen kann. In klinischen Berichten zeigt Bienengift Verbesserungen bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson. Bienengift-Therapie ist eine potente Therapie bei therapieresistenten neurologischen und immunologischen Erkrankungen, so Dabsch im Rahmen seiner Zusammenfassung.

WL Dr. Erich Witzmann